2024 versuchten die Märkte abzuschätzen, wie die Welt nach den umfangreichen Zinserhöhungen von 2022/2023 aussehen wird. Im April galt die Devise „higher for longer“. Das Wachstum war stabil, die Inflation robust und die Zentralbanken zeigten sich zurückhaltend. Im August geriet der US-Arbeitsmarkt ins Wanken, und die Märkte forderten Zinssenkungen. Aktien erlebten einen Ausverkauf und die Zinsmärkte zogen an.
Sowohl die optimistische als auch die pessimistische Sicht auf die Wirtschaft haben ihre Berechtigung. Anleger können allerdings nicht erwarten, dass sie das Beste aus beiden Welten bekommen. Im September erholten sich die Risikomärkte, aber die Zinsmärkte gaben nicht nach. Es wird gemunkelt, dass die Fed vorsichtig geworden ist. Das zu erwartende Szenario ist eine solide Wirtschaft und gleichzeitig weitreichende Zinssenkungen.
Für 2025 erwarten die Marktteilnehmer ein Ertragswachstum von 10% in den USA, eine historisch niedrige Kreditlast und weitere Zinssenkungen der Fed um 200 Basispunkte1. Doch so einfach wird es wohl nicht werden.
Die Reaktionsfunktion der Zentralbanken hat sich zweifellos geändert. Als der Druck auf den US-Wohnungssektor etwas nachliess, erklärte Powell den Sieg über die Inflation. In den vergangenen vier Monaten lag die PCE-Kernrate in den USA bei durchschnittlich 2%, und der Druck hat in allen Sektoren nachgelassen. Was den Zentralbankern nachts den Schlaf raubt, ist das Wachstum, denn die langsame Reaktion auf die Inflation im Jahr 2021 ist noch in lebhafter Erinnerung. Die Zinssenkung um 50 Basispunkte im September macht deutlich, dass die Fed denselben Fehler nicht noch einmal machen wird.
Die Ankündigung der Fed war so überzeugend, dass wir überraschende Zinssenkungen für praktisch unmöglich halten. Das Punktdiagramm von September zeigt, dass die Zentralbank den Autopiloten eingeschaltet hat: Die Märkte rechnen mit einer Zinssenkung pro Sitzung bis Ende 2025. Alle Augen richten sich auf die langfristigen Zinssätze, und Anleihen verzeichneten die höchsten Zuflüsse seit 2020. Die globalen Zinskurven kehren zu ihrer normalen Form zurück (Abbildung 1). In der Vergangenheit entsprach die erste Zinssenkung der Fed häufig dem Zeitpunkt, an dem die Duration reduziert wurde (Abbildung 2).
Die US-Wahlen sind das nächste Thema, das nichts Gutes für die Duration verheisst. Sowohl Harris als auch Trump setzen auf umfangreiche steuerpolitische Massnahmen. Die Kosten dieser Pläne können in den kommenden vier Jahren leicht 2% des BIP erreichen – und das bei der schlechtesten Haushaltslage seit dem Zweiten Weltkrieg (Abbildung 3). Die Märkte halten einen Sieg von Trump für unwahrscheinlich (Abbildung 4). In 2016 hatte der Wahlsieg der Republikaner grosse Bewegungen an den Anleihemärkten, eine steilere Kurve und einen stärkeren USD zur Folge (Abbildung 5).
Die US-Wirtschaft verlangsamt sich, bricht aber nicht komplett ein. Der Atlanta Fed Tracker weist ein US-Wachstum von 3% aus. In Europa spitzt sich die Lage schneller zu. Die Wachstumsziele der EZB sind zu ambitioniert, so dass die europäischen Zinsen eher nach unten tendieren. China hat erkannt, dass sein Wachstumsziel von 5% zu hoch angesetzt ist und verstärkt daher seine Konjunkturmassnahmen. Unser Modell geht davon aus, dass die Wahrscheinlichkeit einer kurzfristigen Rezession in den USA steigt, aber unter 50% liegt (Abbildung 6).
Die konjunkturelle Abkühlung und Hochstände in Risikoanlagen belassen die Märkte in fragilem Zustand. Der Spielraum nach oben ist begrenzt, und es muss nicht viel passieren, damit Anleger, die mit ihren Long-Positionen nervös werden, ihre Bestände verkaufen. Die Anfälligkeit der Märkte wird dadurch verstärkt, dass die Rezession an den Zinsmärkten bereits vollständig eingepreist ist: Die Duration wird beim nächsten Ausverkauf keine Absicherung mehr bieten. Wir sehen weiterhin Chancen, vor allem in Anleihen. Sowohl die Gesamtrenditen als auch die Dispersion sind hoch. Unserer Meinung nach ist es an der Zeit, das Markt- und Durations-Beta zu reduzieren und sich auf die aktive Alpha-Generierung in unseren Strategien zu konzentrieren.
Anleihenmarkt | Vorsicht mit dem Beta
Auf das Beta von Anleihen zu setzen, stand 2024 hoch im Kurs. Jetzt ist dieser Ansatz aber ausgereizt. Die Credit Spreads sind auf das Niveau von Anfang 2022 zurückgekehrt und haben sich während der Schwankungen im August nicht ausgeweitet. In der Vergangenheit haben solche Spreads auf einjährige Renditen von 0-3% an den Kreditmärkten hingedeutet (Abbildung 7). Die Gesamtrendite könnte dieses Mal etwas höher ausfallen, aber wir halten das Aufwärtspotenzial der Indizes für begrenzt. Die impliziten Ausfallraten sind trotz eines leichten Anstiegs bei der Umwandlung von notleidenden Papieren, der im ersten Halbjahr 2024 einsetzte, auf einem Tiefstand.
Anleihenmarkt | Streuung bietet Chancen
Die gute Nachricht ist, dass die Spreads insgesamt sehr breit gestreut sind (Abbildung 8). Der durchschnittliche Spread ist zwar eng, aber in den Indizes sind 5-20% Anleihen enthalten, deren Spread weiter ist als ihr 70. historisches Perzentil. Eine sorgfältige Titelauswahl kann sich also lohnen. Wir sehen Chancen im Bereich Telekommunikation und bei einigen Versorgern, die einen Spread von 350-400 Basispunkten und einen soliden Pool von Vermögenswerten zur Besicherung der Schulden aufweisen. Nachrangige europäische Immobilienanleihen haben Spreads von über 500 Basispunkten und profitieren von sinkenden Zinsen. Bei Finanztiteln sollte man selektiver vorgehen als noch vor einem Jahr, aber einige Papiere bieten 500-600 Basispunkte bei soliden Kapitalpuffern und guter Qualität der Vermögenswerte. In den Schwellenländern liegen die Spreads von hochverzinslichen Staatsanleihen trotz eines historisch niedrigen Liquiditätsbedarfs bei 600-700 Basispunkten, und die lokalen Märkte bieten trotz der zurückhaltenden Fed rekordhohe reale Renditen.
Fiskalpolitik | Der Elefant im Raum
Die US-Fiskalpolitik stellt nach wie vor das grösste latente Risiko dar. Nach 2021 haben die Regierungen die Rolle des Kreditgebers der letzten Instanz von den Zentralbanken übernommen und die Politik ist azyklisch geworden. 2023 lag das US-Defizit bei 7% – trotz eines Wachstums von über 3% und einer Arbeitslosigkeit von unter 4%. Die Zinslast wird in den kommenden drei Jahren weiter steigen, egal wie stark die Fed die Zinsen senkt. Das US Congressional Budget Office geht davon aus, dass die Schuldenquote der USA bis 2030 um 30% zunehmen wird. Die Angebotsschätzungen wurden in den zurückliegenden Quartalen nach oben korrigiert, und die Nachfrage nach US-Staatsanleihen ist mittlerweile eher durchwachsen. Das Hauptrisiko für die US-Märkte im Jahr 2025 sind sogenannte „Bond Vigilanten“ – also Anleger, die durch den Verkauf von Anleihen die Zinssätze nach oben treiben.
Zentralbanken | Neuausrichtung
Die weltweite Inflation ist wieder unter Kontrolle (Abbildung 9). Diese grosse Wende geschah in den Sommermonaten und hat die Aufmerksamkeit der Zentralbanker auf das Wachstum gelenkt. Angesichts der aktuellen Inflationszahlen sind die Realzinsen weltweit zu hoch, was eine Neuausrichtung rechtfertigt. Die von den Märkten empfundene Dringlichkeit ist jedoch unangebracht, zumindest in den USA. Die Arbeitsmarktdaten verschlechtern sich zwar, sind aber nicht eingebrochen. Der US-Arbeitsmarkt befindet sich mit 100.000 neuen Stellen pro Monat und einer Arbeitslosenquote von 4,2 % auf Kurs. Dieses Niveau ist historisch gesehen nicht mit einer Rezession gleichzusetzen. In Europa gehen die Einkaufsmanagerindizes rapide zurück, und das Vertrauen ist gering. Frühindikatoren deuten auf ein künftiges Wachstum von 0,5% hin, während die EZB für 2025 ein Wachstum von 1,3% prognostiziert. In China hat sich die Konjunktur in diesem Jahr von 5% auf 4% verlangsamt, doch die Regierung weitet ihre Konjunkturmassnahmen aus. In den USA rechnet der Markt mit einer Zinssenkung pro Sitzung und einem Leitzins von 2,75% bis Ende 2025. In Europa werden die Zinsen voraussichtlich eher bei 2% liegen. Wir sehen Aufwärtstendenzen in den USA und Abwärtstendenzen in Europa.
Devisen | Die Krux mit dem USD
Die Devisenmärkte stehen im Jahr 2024 im Zeichen der USD-Schwäche. Da die US-Wirtschaft im Vergleich zu den restlichen G10-Staaten am stärksten nachgelassen hat, wird die Fed nun als die Zentralbank wahrgenommen, die sich weltweit am stärksten auf das Wachstum konzentriert. Auf kurze Sicht bestehen für den USD Aufwärtsrisiken. In der US-Kurve sind zu viele Senkungen eingepreist, und die US-Wahlen könnten erneut zu Zolldiskussionen führen. Längerfristig dürfte jedoch eine Abwertung des USD die einzige Möglichkeit sein, um die Schulden in den USA tragfähig zu machen. Dies gilt insbesondere dann, wenn die asiatischen Währungen an Attraktivität gewinnen, wie die Entwicklung des japanischen Yen im August gezeigt hat.
Davide Serra
Gründer & CEO
Sebastiano Pirro
CIO & Financial Credit Portfolio Manager
Gabriele Foà
Global Credit Portfolio Manager
Silvia Merler
Head of ESG & Policy Research